Die einzige reformierte Gemeinde des Kirchenkreises ist in Vlotho
beheimatet. Ihre Entstehung verdankt sie der unmittelbaren Nachbarschaft
der reformierten Grafschaft, dem späteren Fürstentum Lippe. Von hier aus
ließen sich Reformierte in der Stadt und im Amt Vlotho nieder.
Das Amt Vlotho bestand seit 1556 weitgehend unverändert aus der Vogtei
Vlotho, zu der die Kirchspiele Vlotho und Rehme zählten, und der Vogtei
Wehrendorf oder Valdorf. Der Vogtei Rehme war auch die Bauerschaft Exter
angegliedert. Dies ist von Bedeutung, weil hinsichtlich des
Parochial-Bezirks der reformierten Gemeinde in Vlotho von Anfang an klar
zu sein schien, dass man nicht nur die Reformierten in Vlotho, sondern
ebenso auch die um Vlotho im Auge hatte. Durch „Allerhöchste Rescript
vom 28. März 1804" wurde entschieden, dass sämtliche reformierten
Einwohner im Amt Vlotho eine Gemeinde ausmachten.
Die heutige Stadt Vlotho ist bei der Neugliederung der bisherigen Kreise
Herford, Minden und Lübbecke am 1.1.1969 aus der Titularstadt Vlotho und
den Gemeinden Valdorf und Exter des alten Amtes Vlotho gebildet worden.
Am 1.1.1973 wurde die jenseits der Weser gelegene Gemeinde Uffeln des
damaligen Amtes Hausberge im Kreise Minden mit Vlotho vereinigt.
Vlotho liegt in der nordöstlichen Ecke des nordlippischen Hügellandes am
großen Weserbogen. Verkehrsmäßig ist Vlotho über die Bundesautobahn
Hannover-Dortmund und mit der Bundesbahn an der Strecke von Löhne nach
Hameln gut zu erreichen. Die Wasserstraßenverbindung ist heute
allerdings nicht mehr erheblich, nachdem der Weserhafen seine frühere
Bedeutung als
wichtiger Umschlagplatz für Güter aller Art verloren hat.
Nach Abschluss der kommunalen Neuordnung hatte Vlotho 21.511 Einwohner.
Diese Zahl hat sich seitdem ständig verringert und fiel bis Ende 1989
auf etwa 19.500. Hierin sind ca. 1.000 Ausländer enthalten, zumeist
Muslime. Bei der altersmäßigen Aufgliederung zeigt sich die allgemein in
unserem Lande vorherrschende Situation: Die bis 25jährigen machen etwa
30 %, die 25 bis 50jährigen etwa 34 % und die über 50jährigen Einwohner
etwa 36 % der Gesamtbevölkerung unserer Stadt aus.
Die Zahl der Gemeindeglieder der reformierten Gemeinde betrug Ende 1989
1.086 Personen.
Über die Entstehung der reformierten Kirchengemeinde in Vlotho liegen
uns nur unvollständige Unterlagen vor. Schon um 1700 hatten sich
„Untertanen der benachbarten Grafschaft Lippe" in und um Vlotho häuslich
niedergelassen. Da sie auf ihrer Konfession absolut beharrten, hielten
sie eigene gottesdienstliche Versammlungen, insbesondere mit der Feier
des Heiligen Abendmahls ab. Hierzu kamen zunächst Prediger der
reformierten Kirchengemeinde der Stadt Minden, später aus dem lippischen
Dorf Langenholzhausen nach Vlotho.
Die Versammlungen und kirchlichen Handlungen fanden am Anfang in
Privatwohnungen und später im Bürgersaal des Rathauses statt. Die Zahl
der Gemeindeglieder wuchs schnell, so dass sie 1777 mit den in Valdorf,
Exter und Rehme wohnenden Reformierten mit 210 angegeben wurde. Der
Bürgersaal erwies sich deshalb bald als zu klein, so dass
verschiedentlich beantragt wurde, viermal im Jahr die Abendmahlsfeier in
der lutherischen Kirche abhalten zu dürfen. Dies stieß aber stets auf
Ablehnung.
Höheren Ortes war man mit dem Verhalten der Lutheraner in Vlotho
keineswegs einverstanden. Das änderte aber nichts an der vor gefassten
Meinung. Es erschien deshalb immer zwingender, dass die reformierte
Gemeinde ein eigenes Gotteshaus erhielt. Der Gemeinde wurde deshalb
erlaubt, Haus- und Kirchenkollekten abzuhalten. Der Ertrag der Kollekten
in Höhe von 300 Talern reichte aber bei weitem nicht aus zum Bau einer
eigenen Kirche. Da geschah etwas Unerwartetes, das von größter Bedeutung
für den geplanten Bau der reformierten Kirche sein sollte. Der Schiffer
Christian Retemeyer zu Vlotho, einer der entschiedensten Verfechter
gegen das Ansinnen der Reformierten, die lutherische Kirche benutzen zu
dürfen, verstarb, und der preußische König verfügte am 12. September
1781, dass ein dem Staat zustehender Betrag von 800 Talern aus dessen
Nachlass der reformierten Gemeinde in Vlotho „zur Bauhülfe ihrer Kirche"
geschenkt werden sollte.
Die Gemeinde kaufte am 12. April 1782 das Haus Nr. 136 am Markt in
Vlotho nebst Scheune und Garten für 1.100 Taler Gold. Ein Teil des
Gartens wurde als Bauplatz für die Kirche genommen.
Die St. Johanniskirche wurde zunächst ohne Turm erbaut. Sie hatte die
Form eines Achtecks (Oktogon) und bot etwa 200 Personen Platz. Die
Grundsteinlegung am 29. April 1782 war mit einer großen Feier verbunden.
Die Einweihung der Kirche erfolgte am 14. September 1783. Die Baukosten
betrugen 3.105 Taler, 23 Groschen und 3 Pfennige. Die „kleine Kirche"
ist ein schöner Bau, nach reformierter Weise ganz schlicht, aber
freundlich, ja anmutig gestaltet.
Der Bau eines Kirchturms konnte erst 100 Jahre später verwirklicht
werden: im Jahre 1884 wurde er nach der Straßenseite hin angebaut. Die
Einweihung erfolgte am 11. Dezember 1884 durch den Konsistorialrat
Thelemann aus Detmold. 1921 wurde zur Platzbeschaffung für einen neu
gebildeten Kirchenchor in der Kirche eine Prieche errichtet, 1926 wurden
die Kirchenfenster durch eine neue Glasmalerei ersetzt und 1929 das
Innere der Kirche vollständig erneuert und mit bequemerem Gestühl
ausgestattet.
Außer dem Grund und Boden, auf dem 1783 die Kirche errichtet wurde,
erwarb die Gemeinde in dem Bereich noch weitere Grundstücke: Einen
Garten, der bis 1819 Begräbnisplatz war, eine Scheune, „ein sehr großes
Haus". Für diese Objekte zahlte die Kirchengemeinde an den damaligen
Eigentümer, den Kriegskommissar Adolf Delius, 1.100 Taler in Gold. Das
Haus war ein Prachtstück der im Mittelalter ausgehenden hohen Baukunst.
Eine Inschrift im Balkenwerk wies unter anderem folgende Worte auf: „...
Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit - Lebe, damit Du nachher lebest." Es
diente bis 1936 als Pfarrhaus. Dann wurde es leider verkauft und
abgerissen. Heute befinden sich das Pfarrhaus und das später errichtete
Gemeindehaus in der Moltkestraße Nr. 2.
Im Jahre 1872 schenkte Kaiser Wilhelm I. der reformierten
Kirchengemeinde ein im Feldzug 1870/71 von den Franzosen erbeutetes
Kanonenrohr. Dies sollte zu einer Kirchenglocke für die reformierte
Kirche umgegossen werden. Da aber die Kirche noch keinen Turm hatte,
musste das wertvolle Rohr zunächst gelagert werden, bis 1884 das
Kanonenrohr zu zwei Glocken umgegossen werden konnte. Die große Glocke
erhielt die Aufschrift : „0 Land, Land, höre des Herrn Wort! Jer. 22,29"
und die kleine Glocke: „In Freud und Leid, in Not und Tod - kling' ich
und ruf zu Eurem Gott". Im Ersten Weltkrieg musste die große Glocke an
die oberste Heeresleitung abgeliefert werden, die sie wieder zu einem
Kanonenrohr umgießen ließ. Die kleine Glocke wurde 1925 durch drei neue
Glocken ersetzt.
Die erste Orgel erhielt die Kirche im Jahre 1806. Zuvor wurde zur
Begleitung des Kirchengesangs ein Positiv benutzt. Die heutige Orgel
wurde von der Firma Steinmann entworfen und im Jahre 1967 eingebaut. Das
amtliche Siegel der reformierten Gemeinde zeigt ein aufgeschlagenes
Buch, die Bibel. Die Umschrift lautet: „Ev.-ref. St.
Johannis-Kirchengemeinde zu Vlotho 1787". Das Jahr 1787 wird hier als
Gründungsjahr angegeben, weil die Gemeinde in diesem Jahr einen eigenen
Pfarrer erhielt, obwohl die Anfänge der Gemeinde auf die erste Hälfte
des Jahrhunderts zurückgehen. Das Kirchensiegel ist wahrscheinlich
später entstanden; denn erst 1830 führte die Gemeinde nach einer Notiz
des damaligen Predigers Günther durch Bestimmung der Ältesten die
Bezeichnung „Johannisgemeinde".
Als Mahnmal gegen den Krieg und zur Erinnerung an die Gefallenen der
letzten Kriege aus unserer Gemeinde wurde neben der Kirche im Jahre 1965
eine Gedenktafel errichtet. In stilisierter Darstellung weisen liegende
und stehende Menschen auf den erhöhten, gekreuzigten Christus hin. Die
Inschrift lautet: „Gott aber ist nicht der Toten, sondern der Lebendigen
Gott, denn sie leben ihm alle" (Lk. 20,38). Den heutigen Standort
erhielt die Gedenktafel bei der Neugestaltung des Kirchenvorplatzes im
Rahmen der in den Jahren 1986/87 durchgeführten Stadtsanierung.
Die ersten gottesdienstlichen Versammlungen und Abendmahlsfeiern der
Gemeinde hielt einer der beiden reformierten Pastoren zu Minden. Da aber
die Wege zwischen Minden und Vlotho IHM schlechtem Wetter und im Winter
sehr beschwerlich waren, trug das evangelisch-reformierte
Kirchendirektorium in Berlin am 19. März 1745 dem Pastor Simon Heinrich
Schreiter in Langenholzhausen die „Kuratel" der Evangelisch
-Reformierten in und um Vlotho auf. Im Jahre 1758 starb Pastor
Schreiter. Auf Vorschlag des reformierten Inspektors Fricke in Minden
wurde nun veranlasst, dass der reformierte Prediger Braun in Herford
zweimal jährlich (von 1783 an viermal jährlich) nach Vlotho kommen und
das Abendmahl halten sollte. Hierbei blieb es bis zur Anstellung eines
eigenen reformierten Predigers.
Aus den Anfängen der Gemeinde seien folgende Pastoren erwähnt: Erster
Prediger der reformierten Gemeinde wurde im Jahr 1787 der frühere Rektor
Friedrich Adolf Rohde aus Bielefeld. Ihm folgte von 1806 bis 1819 Pastor
Ernst Rudolf Niemöller. Im Mai 1821 trat Pastor Carl Wilhelm Günther
sein Amt als reformierter Pastor in Vlotho an und blieb es bis zu seinem
Tode im Jahre 1842. Nach zweijähriger Pfarrvakanz wurde die Stelle des
Geistlichen im Jahre 1844 von Pfarrer Eduard Höpker, der von 1849 bis
1854 auch Superintendent war, besetzt.
Heute beschäftigt das Presbyterium, Gemeindebeirat und den Pfarrer immer
wieder die Frage, wie der Dienst in der Gemeinde getan, und wie die
Gemeinde in einer mehr und mehr säkularen Welt ihrer Aufgabe in der
Nachfolge Jesu Christi gerecht werden kann.
Zentrum und tragende Mitte aller Gemeindearbeit ist auch heute noch der
Gottesdienst, der an allen Sonn- und kirchlichen Feiertagen stattfindet.
Das Abendmahl wird in der Regel im Anschluss an den Gottesdienst,
gelegentlich aber auch während des Gottesdienstes, gefeiert. Das
Kernstück eines reformierten Gottesdienstes ist die Predigt, wobei es
uns wichtig ist, dass das Evangelium, die Hinwendung Gottes zu den
Menschen, unverfälscht verkündigt wird.
Neben dem Gottesdienst geschieht die Gemeindearbeit in Bibel- und
Arbeitskreisen, in Frauen-, Männer- und Jugendkreisen, in
Gemeindeveranstaltungen, Besuchsdienst, Chorsingen und manchem mehr. Die
Veranstaltungen werden in den Schaukästen und durch Beilage zum
Gemeindebrief sowie sonntäglich in den Abkündigungen der Gemeinde
mitgeteilt.
Zweimal im Jahr erhalten alle Gemeindeglieder einen Gemeindebrief,
wodurch der Kontakt auch zu jenen Gliedern der Gemeinde gepflegt wird,
die selten oder gar nicht an den Veranstaltungen der Gemeinde
teilnehmen.
Abschließend soll dankbar festgehalten werden, dass das Neben- oder
besser: das Miteinander unserer kleinen reformierten Gemeinde mit den
lutherischen Gemeinden unserer Stadt heute gut ist. Spannungen früherer
Jahre sind überwunden. So ist es selbstverständlich, dass Glieder
unserer Gemeinde am Gottesdienst und anderen Veranstaltungen der
lutherischen Gemeinden teilnehmen wie andererseits Lutheraner
gelegentlich unsere Gäste sind. Die Möglichkeiten, die in einem guten
Miteinander liegen, beschränken sich aber nicht auf einzelne
Gemeindeglieder. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich die
Zusammenarbeit der verschiedenen Gemeinden befruchtend und bereichernd
für alle auswirkt. Zu erwähnen sind hier die gemeinsamen
Passionsgottesdienste, die Allianzgebetswochen, Evangelisationen und der
Stadtkirchentag. Auch hierin kommt zum Ausdruck, dass sich heute
Reformierte und Lutheraner als Glieder des einen Leibes sehen, dessen
Haupt Jesus Christus ist.
Karl Stock
Dieser Text wurde mit freundlicher
Genehmigung dem Buch „Kirche an Weser und Werre“ (1991) entnommen.
Dieses Buch ist nicht mehr im Handel
erhältlich.
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